Behandlungsformen

Psychotherapie und medikamentöse Therapie

Rita S., Betroffene

Über zehn Jahre dauerte meine schlimmste Zeit der Depression an: Leere, Resignation, Verzweiflung, Todessehnsucht... unfähig, Lichtblicke und Wohlgemeintes zu erkennen, geschweige denn spüren und zulassen zu können. So vegetierte ich dahin, Zombie-gleich.

Einziger Fixpunkt in meiner Woche waren fast ausschliesslich die zwei vereinbarten Termine bei einer Psychotherapeutin, die sich entschieden hatte, mich in dieser massiven Krise, wie sie auch immer enden würde, zu begleiten. Erinnerungen an all die vielen Stunden, in denen ich kaum ein Wort gesprochen hatte, nichts zu sagen hatte, da nur diese grauenhafte Leere in mir war. Wie habe ich mich geschämt dafür! Manche Therapiestunden waren für mich noch schlimmer als die übrige Zeit, weil da jemand war, der mein schreckliches 'In der Welt sein' sah, sich dafür interessierte, sich für mich interessierte. Und mit der Zeit hat sich doch ein roter Faden ergeben, eine Geschichte, meine Geschichte, aber auch die gemeinsame Therapiegeschichte. Ich durfte erfahren, dass jemand da war, der trotz allem an mich glaubte, der nicht aufgab, mich nicht im Stich liess. Immer wieder habe ich gespürt, dass ich ernst genommen wurde, dass ich Bedeutung hatte und dass jemand meine Depression als Teil meines Lebens, als Ausdruck meiner selbst verstand und mir dadurch ermöglichte, mich vor mir selbst bestehen zu lassen und den Gefühlen von Verzweiflung, Angst, Resignation und Schmerz nachzugehen und deren Hintergründe und Geschichte zu erkennen.

Wiederholt war auch die Medikamentenfrage Thema in der Therapie. Jahrelang habe ich mich geweigert, irgendein Medikament einzunehmen - von Kindheit her vorbelastet durch leichtfertiges Abgeben von Pillen gegen jedes Unwohlgefühl. Ausserdem erlebte ich, dass mir in Kliniken zwangsmässig Psychopharmaka verabreicht wurden, die mein Selbsterleben veränderten. Viele Male hatte ich mit meiner Ärztin, die mich ebenfalls mehrere Jahre begleitete, über meine Ängste, Fragen und Zweifel diesbezüglich gesprochen, bis ich mich endlich darauf einliess, ein Antidepressiva auszuprobieren. Es dauerte lange Zeit, bis eines der Medikamente bei mir ansprach – eine ermüdende Angelegenheit, da jeder anders auf die Antidepressiva reagiert und dies so stets ein Suchen bedeutet. Doch es hat sich gelohnt, denn ich habe 'mein Antidepressiva' gefunden und bin langsam aus dem 'Nur grau in grau Gefühl' aufgetaucht.

Das Netz von Ärztin, Therapeutin und im Laufe der Zeit auch wieder von Freunden war lebenswichtig für mich. Meine Depression ist nicht definitiv beseitigt, aber ich weiss inzwischen besser, was mir hilft, wie ich sie leichter aushalte, und dass ich nicht alleine sein muss damit.

Rückblickend waren für mich als Betroffene folgende Punkte von grosser Bedeutung:

  • Die Depression ist eine Krankheit. Dies zu akzeptieren fiel mir schwer, tat weh... aber hat mich persönlich auch entlastet.
  • Bei jeder sonstigen Krankheit suche ich alle erdenkliche Hilfe - also auch hier: Ärzte/innen, Therapeut/innen, Psychiater/innen, Sozialarbeiter/innen, Spitex, Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen... je nach Person kann alles hilfreich sein. Scham ist fehl am Platz.
  • Die Vertrauensbeziehung zu meiner Therapeutin und zu meiner Ärztin war unerlässlich. Also darf und soll ich diese Personen auswählen und allenfalls wechseln können, ihnen Fragen stellen dürfen, etc. Nicht jede Fachperson ist für jedermann die richtige. Das Grundgefühl, verstanden zu werden, ist ausschlaggebend für die Wahl meiner Bezugspersonen. Schliesslich lege ich mich auch nicht bei jedem Chirurgen unters Messer!
  • Für mich war es wichtig, dass die beteiligten Fachkräfte (Ärztin, Therapeutin, Spital- und Klinik-Bezugspersonen...) voneinander wussten und notfalls miteinander Kontakt aufnahmen und Unterstützungsmassnahmen gemeinsam planten. So war eine offene, von gegenseitigem Respekt getragene Unterstützung aller für mich gewährleistet und ermöglichte mir selbst auch, überall stets transparent bleiben zu können. Es machte mich frei, die unterstützenden Massnahmen und Personen der jeweils anderen Fachstelle in der gerade stattfindenden Therapie/Konsultation/Behandlung mit einbeziehen zu können. Daher ist es wichtig, dass ich mich bei der Auswahl meiner Bezugspersonen getraue, sie nach ihrem Umgang mit Medikamenten, mit anderen Fachpersonen etc. zu fragen. Heute werde ich sehr hellhörig, wenn ein Psychotherapeut sich absolut gegen Medikamente oder psychiatrische Massnahmen ausspricht. Genauso fragwürdig wäre für mich ein Arzt/Psychiater, der Psychotherapie bei Depressiven ablehnen würde. Es geht nur um mein eigenes Besser-Ergehen, und dazu brauche ich jene Menschen, die mich in meiner ganz persönlichen Art der Krankheitsbewältigung unterstützen.
  • Zudem bin ich überzeugt, dass die Fachpersonen selbst mit mehr Sicherheit und Klarheit in ihrem jeweiligen Gebiet mit mir arbeiten können, wenn sie wissen, dass der nicht von ihnen abgedeckte Teil auch seine Beachtung findet. Da die interdisziplinäre Kommunikation bei mir gut gelaufen ist, war es oftmals möglich, dass eine genügende Betreuung auch während Ferienabwesenheiten einer Bezugsperson durch die anderen gewährleistet blieb.
  • Aus obigem geht hervor, wie wichtig eine gelungene Therapie-Beziehung für meine Gesundung war. Daher ist die Wahl der Therapeuten/innen so wesentlich. Dabei helfen Empfehlungen von Betroffenen, Ärzten, Nahestehenden etc... Doch es gibt auch spezielle Beratungsstellen, die Adressen von Therapeuten/innen, die Erfahrung mit depressiven Klienten/innen haben, weitergeben. Am besten können solche Stellen bei Hausärzten, der Sozialberatung oder beim Schweizerischen Psychotherapeuten-Verband SPV erfragt werden.
  • Dass eine Psychotherapie ein oftmals langwieriger Prozess ist, scheint allgemein bekannt und akzeptiert zu sein. Doch auch eine medikamentöse Behandlung der Depression verspricht keinen Sofort-Erfolg. Oftmals bedeutet es eine mühsame Suche nach dem ganz persönlichen Antidepressivum. Was dem einen hilft, kann bei mir völlig wirkungslos bleiben. Darum musste ich auch da eine lange Zeit der Suche nach dem richtigen Medikament in Kauf nehmen: Immer wieder etwas ausprobieren, warten, ob es ca. innerhalb eines Monats anspricht... Enttäuschung... und erneut weitersuchen. Es war mühsam, hat sich aber letztlich gelohnt, als ich auf eines der Medis angesprochen habe.
  • Abschreckend wirken bei Psychopharmaka oft auch die viel diskutierten Nebenwirkungen. Mir scheint es wichtig, dass ich mich als Patientin von Ärzten aufklären lasse, nach der Wirkungsart und den möglichen Beeinträchtigungen frage. So war mir nicht bekannt, dass Antidepressiva im Gegensatz zu anderen Psychopharmaka im allgemeinen nicht persönlichkeitsverändernd wirken. Es ist interessant und beruhigend zu hören, wie diese Stoffe im Hirn wirken! Natürlich gibt es Nebenwirkungen. Ich erlebte sie in Form von Mundtrockenheit, Müdigkeit und teilweiser Verlangsamung. Doch was sind diese Beeinträchtigungen gegenüber Resignation, Lebensmüdigkeit und Todessehnsucht? 'Gerne' habe ich diese in Kauf genommen, wenn die Abgründe der Depression dadurch etwas kleiner wurden!

Abschliessend möchte ich mir und allen Betroffenen nochmals Mut machen: Die Depression ist eine psychische Erkrankung, die mich auffordert, meinen ganz persönlichen Gesundungsweg zu suchen. Brauche ich eine Psychotherapie? Wenn ja, welche Art, welche Therapeutin, welche Form? Genügt es immer im ambulanten Rahmen, oder brauche ich zeitweilig eine stationäre Betreuung? Hilft mir eine Gruppe für Betroffene? Wenn ja, soll sie fachlich geleitet sein, oder fühle ich mich in einer Selbsthilfegruppe besser aufgehoben? Kann ich mich auf eine medikamentöse Behandlung einlassen? Oder will ich mich gar auf diese beschränken? Viele Fragen, die jeder Betroffene für sich persönlich entscheiden muss und darf. Was mir hilft, kann für andere wenig unterstützend sein. Und dies ist in Ordnung so: wir sind in unserem Ringen um Gesundung okay, welchen Weg wir auch immer wählen!


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