Arbeitswelt

Mein Team weiss nichts davon

Urs S., Betroffener

Die Angst und Ungewissheit, dass jederzeit wieder eine unangemeldete Depression ausbrechen kann, ist für jeden Menschen, der unter dieser Krankheit leidet, eine starke Belastung.

Als Geschäftsführer einer kleinen Firma trage ich gegenüber meinen Mitarbeitern, unserem Konzern sowie unserer Kundschaft eine grosse Verantwortung. Täglich sind Entscheidungen zu treffen, die den positiven oder andernfalls negativen Geschäftsgang beeinflussen.

Stecke ich in einem psychischen Tief, habe ich grosse Schwierigkeiten, mich für die tägliche Arbeit zu motivieren. Schon bereits die Fahrt ins Büro wird zur Qual, und ich frage mich, was die ganze Sache überhaupt soll. In einer Depression ist es für mich sehr schwierig, den Lebenssinn zu sehen oder auch nur irgendwo am weit entfernten Horizont zu erahnen.

Im Büro belasten mich Mitarbeiterprobleme, Kundenreklamationen, das Erreichen des angestrebten Budget oder Absagen von offerierten Projekten viel mehr, als mir das lieb wäre. Bin ich im Aussendienst tätig, wo ich mit verschiedenen Kunden zu tun habe, ist mir klar, dass ich nicht die gewünschte Überzeugungskraft aufbringen kann und dadurch auch nicht ein entsprechendes Vertrauen aufbauen kann. Diese Erkenntnis ist bestimmt nicht fördernd, da dadurch mein Selbstvertrauen massiv beeinträchtigt wird.

Mein Team sowie die Konzernleitung wissen nichts von meiner Krankheit, die mich begleitet, und würden auch nie denken, dass ich unter Depressionen leide. Die einzige Person im Geschäft, der ich über meine Krankheit erzählt habe, ist unsere kaufmännische Leiterin. Sie hilft mir oft weiter, auch wenn sie es selbst gar nicht merkt.

Stecke ich in einem Tief, habe ich oft grosse Mühe, Entscheidungen zu treffen. Das Gefühl dabei ist ganz eigenartig, ganz speziell weil mir Entscheidungen normalerweise einfach fallen. Plötzlich muss ich mich zwischen dem Ja und Nein sagen herumquälen und bringe keines der beiden Worte über meine Lippen. Auch dann bin ich froh, wenn ich jemandem sagen kann; ich kann nicht entscheiden, entscheide du für mich.

Bis heute ist es mir gelungen, am Arbeitsplatz alle meine Kräfte zu sammeln und so gut wie möglich meine Arbeit zu erledigen. Schliesslich nach einem langen Arbeitstag, der an schlechten Tagen sehr sehr lange sein kann, bin ich froh, wenn ich nach Hause kann und meinen Gefühlen freien Lauf lassen kann.


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