Behandlungsformen

Therapeutische Haltung bei Behandlungsbeginn

Prof. Dr. med. Daniel Hell, PD Dr. med. Heinz Böker, T. Marty

Eine wesentliche Grundlage der Depressionsbehandlung ist die therapeutische Haltung der Behandelnden, die es den depressiv Erkrankten ermöglicht, sich auch in ihrer Erkrankung als akzeptiert zu erleben. Die Möglichkeit, sich mitzuteilen und eine Resonanz beim Gegenüber zu erleben, stellt eine erste wesentliche heilsame Erfahrung für den depressiv Erkrankten dar, hat dieser sich doch häufig aus Schamgründen bereits über einen längeren Zeitraum zurückgezogen und vielfach auch nahe Angehörige nicht mehr einbezogen.

Die vorhandenen Beschwerden sollten möglichst offen und nüchtern erfragt werden. Wesentlich kann es sein, die mögliche Suizidalität zu thematisieren. Mit Relativierungen der Beschwerden und falschen Vertröstungen («halb so schlimm», «wird schon wieder») können Ärztinnen und Ärzte - ohne es zu wollen - zu einer weiteren Zunahme der bereits bestehenden Tendenzen depressiv Erkrankter beitragen, sich selbst zu überfordern und/oder sich als Versager zu erleben. Bei den Interventionen sollte berücksichtigt werden, dass ein einfühlendes Verstehen depressiver Menschen dadurch erschwert wird, dass diese affektiv weniger mitschwingen können und zudem oft als dysphorisch verstimmt erscheinen, so dass sich auf Seiten des Arztes neben Mitgefühl auch Abwehr regen können. Dabei handelt es sich um ein typisches Interaktionsphänomen mit einem depressiven Menschen. Es ist im weiteren Verlauf von grosser Tragweite, wenn dieses durch den depressiv Erkrankten ausgelöste Interaktionsphänomen zu Rückzug oder gar therapeutischem Nihilismus führt.

Es empfiehlt sich, Beschwerden und Klagen zunächst unkommentiert zusammenzufassen, sie jedoch nicht zu interpretieren oder gar zu relativieren. Die Akzeptanz der Depression verhilft den betroffenen Patienten/-innen, dass sie ihren Zustand, den sie ohnmächtig bekämpfen, als von anderen angenommen erleben können, ohne mit weiteren Schuldgefühlen reagieren zu müssen. An dieser Stelle zeigt sich, dass das diagnostische Gespräch bereits der Beginn der Therapie ist. In der Praxis bewährt es sich, von körperlichen Symptomen (wie Schlafstörung, Appetit und Gewichtsverlust, Antriebsstörung, Konzentrations- und Gedächtniseinbusse, Morgentief und Tagesrhythmik) auszugehen und erst allmählich auf das schwerer in Worte zu fassende innere Erleben (Versagens- und Zukunftsängste, Selbstvorwürfe, Schuldwahn) zu sprechen zu kommen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das gesamte Zeiterleben depressiv Erkrankter verlangsamt ist. Fehlt die nötige Zeit bei einer ersten Konsultation, so sollten die Patienten/-innen bald möglichst wiedereinbestellt werden.

Immer gilt es, eine akute Suizidalität einzuschätzen, bevor die ambulante Therapie fortgesetzt wird. Die Mitteilung der Diagnose und weitere diagnostische Informationen haben für die Patienten/-innen häufig eine entlastende Funktion, da auf diesem Wege deutlich gemacht wird, dass die Betreffenden an einer bekannten medizinischen Krankheit mit günstiger Prognose leiden. Gerade bei erstmaligen depressiven Episoden ist die bisher unbekannte Erfahrung einer psychischen Fragilität für die Patienten/-innen oft erschütternd. Durch eine allfällig nötige Krankschreibung kann der kompensatorischen Selbstüberforderung Depressiver entgegengewirkt werden. Seltener wird eine Hospitalisation notwendig sein (insbesondere bei akuter Suizidalität und schweren depressiven Episoden). Der entlastende therapeutische Effekt kann auf diese Weise unter Umständen noch verstärkt werden, indem der depressiv Erkrankte aus dem Feld seiner täglichen und häuslichen Pflichten vorübergehend herausgenommen wird.

Von längeren Ferienreisen oder Kuraufenthalten ist jedoch eher abzuraten, da diese von depressiv Erkrankten zumeist als Belastung erlebt werden, wenn die Patienten/-innen sich durch die an sie gerichteten Erwartungen überfordert fühlen. Prinzipiell ist die Entlastung im akuten Krankheitsstadium eine wichtige Massnahme. In der Praxis handelt es sich um einen gemeinsamen Suchprozess nach einem guten Mass (an Entlastung), in den je nach dem auch das Umfeld miteinbezogen werden sollte. Der Rückzug aus sozialen Aufgaben und Verpflichtungen kann für depressive Menschen auch zur Belastung werden, wenn sie die Massnahme als Bestätigung ihres (subjektiv empfundenen) Versagens erleben, Ängste vor einer Stigmatisierung entwickeln usw.


Einbeziehen der Angehörigen

Bestehen Anzeichen dafür, dass Angehörige hilflos reagieren, sich schuldig fühlen, ungeduldig-fordernd oder kritisch-ablehnend reagieren, so sollte mit dem Einverständnis des depressiv Erkrankten auch der Lebenspartner angehört und über die Diagnose orientiert werden. Geduld ist manchmal von allen Betroffenen leichter aufzubringen, wenn ihnen - aufgrund einer guten Prognose des depressiven Leidens - realistisch Hoffnung gemacht werden kann. Bei prämorbid gespannten Beziehungen kann es hilfreich sein, den Partner in Einzelgesprächen zu unterstützen und später, - bei Abklingen der Depression - Paar- oder Familiengespräche anzubieten.

Aus: Integrative Therapie der Depression.
In: Swiss Medical Forum. Schweizerisches Medizin-Forum. Sonderdruck. Nr. 19. 9. Mai 2001. S. 494-495.


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