Behandlungsformen

Psychotherapie der Depression

Paula Ritz, Psychotherapeutin FSP

Die Psychotherapie der Depression ist so vielgestaltig wie das Syndrom selbst. In meiner Praxis gibt es so viele unterschiedliche Therapie-Prozesse, wie sich mir in all den Jahren depressiv reagierende KlientInnen anvertrauten und mich an einem Stück ihres Lebensweges teilhaben liessen.

Der therapeutische Erfolg basiert zu einem grossen Teil auf der Qualität der therapeutischen Beziehung. Ein heimlicher Wirkfaktor in der Psychotherapie ist aber auch die Theorie des/der TherapeutIn. KlientInnen neigen dazu, diese Theorie zu übernehmen, was für den Therapieerfolg sehr hilfreich ist. Überzeugungen werden somit zu Beziehungsangeboten. Jede Theorie und damit jedes Therapiemodell basiert auf Vorannahmen, unbegründbarem "Glauben" und Interessen. Die Theorien, welche den unterschiedlichen Behandlungsansätze zu Grunde liegen, sind Medien für Werte und damit Ausdruck eines sich durchsetzenden Zeitgeistes. Aus Beschreibungen können "Vor-Schreibungen " und "Ver-Schreibungen" werden. Was Gesundheit zu sein hat, was Krankheit ist, ist also immer im jeweiligen Kontext des gesellschaftlichen Zeitgeistes zu betrachten.

Depression als Überlebensstrategie
Meiner Überzeugung nach ist "depressives Geschehen … eine grundlegend menschliche Möglichkeit, auf überwältigende Not schutzsuchend zu reagieren" (Daniel Hell). Es ist ein notwendiges Überlebens-Muster (das zwar selber zu grossem Leid, ja zur "Hölle“ führt), das unter den jeweiligen Umwelt- und Lebensbedingungen für den Betroffenen aber die bestmögliche Lösungs-Variante darstellt, wenn andere Bewältigungsstrategien nicht mehr “greifen" oder nicht mehr ausreichen. Auslöser der Not (Krisen) haben fast immer mit irgendeiner Art von Konflikt zu tun, mit belastenden äusseren oder inneren Erlebnissen, mit Verlust - sei es durch Trennung, Defekt an oder in mir, Kränkung oder Ähnliches. Vorbelastende Lebenserfahrungen, Traumata, aber auch alle natürlichen Umbruchsituationen machen anfällig für Krisen. Therapie muss Antwort geben auf die unterschiedlichsten Lebens- und Erfahrungshintergründe, die zu einer Depression geführt haben. Der Kontext, der soziale, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenhang muss immer mitgedacht werden. Depression findet in einem Beziehungskontext statt und ist durch nahe Beziehungen zutiefst beeinflusst. Jede Kommunikation, jede symptomatische Verhaltensweise - wie eben depressiv zu reagieren - erhält ihre Bedeutung erst aus dem Kontext, in dem sie geschieht.

Zur psychotherapeutischen Haltung
Eine hilfreiche psychotherapeutische Haltung, die eine Atmosphäre zu schaffen vermag, die Veränderung erst möglich macht, muss meiner Ansicht nach durch Respekt, bedingungsfreie Wertschätzung, Empathie (sich einfühlen in das Erleben des anderen) und Echtheit/Kongruenz gekennzeichnet sein. Als Therapeutin bin ich nicht die Expertin in dem Sinne, dass ich weiss, was für die betroffene Person gut ist. Ich habe keine Lösungen "vor-gesehen" - bin aber überzeugt davon, dass mein Gegenüber fähig ist, in einem sicheren Raum, in dem sie/er sich selbst prinzipiell als angenommen und verstanden erfährt, sich dem eigenen Innenleben zuwenden kann, in dem verschiedene Erfahrungsprozesse das Leiden mitbestimmen. Psychotherapie heisst, mich in eine Beziehung einzulassen und ist gerade bei depressiven Menschen oftmals ein "hartes" Ringen um Beziehung, ein Auffordern und Herausfordern des Andern.

Grundlegende Themen bei Depressivität
Es gibt tausend Gründe, depressiv zu reagieren und deshalb sind auch alle erdenklichen nicht-psychischen Ursachen mitzudenken. Ich erinnere mich etwa an eine Frau, die nach einer "Amöben-Kur" wieder fit war oder an einen Mann, der nach einer Entgiftung von Schwermetallen “ein anderer Mensch“ wurde.

Psychopharmaka sind oft eine Voraussetzung, um sich in eine psychotherapeutische Beziehung einzulassen und davon zu profitieren. Sie können hilfreich sein, wieder oder erstmals zu erleben, wie die Stimmung dem Leben gegenüber auch noch sein könnte. Das Gegenteil ist aber oft genauso der Fall: Sie können einer psychotherapeutischen Begegnung auch im Wege stehen. Glücklicherweise sind wir vom Streit über ein Entweder-oder inzwischen abgekommen.

Suizidalität gehört zu vielen depressiven Zuständen und muss anfangs - aber auch während der ganzen Dauer der Therapie - berücksichtigt werden. Suizidalität muss angesprochen werden, Suizidprophylaxe muss stattfinden. Hier gilt: "(fast) alles, was hilft, Leben zu sichern, ist ‚richtig‘!". Krisenintervention unter Einbezug des Umfeldes steht an erster Stelle. Es heisst hier manchmal aktiv und direktiv zu handeln, Führung zu übernehmen, mitzuhelfen,Strategien zu suchen, die das physische Überleben sichern. Trotzdem gilt auch hier, bei der Klientin/dem Klienten ein grösstmögliches Mass an Autonomie und Selbstverantwortung zu erhalten.

Niemand versteht mich
Therapie kann vorerst bedeuten, "Mitwissende/Mitfühlende zu werden mit dem sich depressiv zeigenden Menschen, die "Schwere" auszuhalten, bereit zu sein, einen Blick oder auch mehr in "die Hölle" zu werfen, zu wagen, mit einer Wirklichkeit zusammenzutreffen, die erschüttert und darauf zu antworten. Es kann helfen, zu wissen, dass da jemand ist, der/die um die Nächte, um das Grauen beim Morgengrauen, die Leere, die unüberwindbar scheinenden Berge weiss...

Sicher gehört zur Therapie, mitzuhelfen die negativen Gedanken und Grübeleien (die oft um Schuld, Scham, Entwertung, ein Nichts zu sein, Nichts zu schaffen, alles vertan zu haben, etc. kreisen) zu "hören" (viele Betroffenen haben keinen Zugang zu ihren mörderischen Selbstgesprächen) und diesbezügliche Coping-Strategien und Stopp-Mechanismen zu finden (bis den KlientInnen ein anderer Umgang mit sich selbst möglich wird).

Reorganisation des Selbstkonzeptes
Die Zielsetzung der Therapie geht in Richtung "Reorganisation des Selbstkonzeptes". Therapie in diesem Sinne heisst, über das körperliche und gefühlsmässige Erleben eines wertfreien Raumes einen wertfreieren Blick auf sich richten zu können, was bedeuten kann, dass ein Zulassen von bisher abgelehnten, abgespaltenen Anteilen von sich selber möglich wird. Bei depressiver Symptomatik kann das einerseits heissen: positive und negative Einstellungen, Denk- und Verhaltensweisen zuzulassen - Aggressivität, Wut, Ärger, Neid anzuerkennen und Eigenüberforderung durch ein unerreichbares Idealbild aufzugeben. Es geht um die Annahme von eigener Begrenztheit, das Zulassenkönnen eigener Unzulänglichkeiten, das Aufgeben von Perfektionismus, das Ablegen der Angst, nicht geliebt zu werden und damit um die Möglichkeit, Nein zu sagen - zu unangemessenen eigenen Ansprüchen, aber auch zu den Erwartungen anderer. Es geht auch um das Loslassen von Illusionen über Glück, Macht, Besitz oder Ruhm.

Es kann aber auch das Gegenteil bedeuten, nämlich den Mut zu finden, "die Welt zu erobern", Erfolg zu haben, sein Potential, seine Ressourcen und Fähigkeiten in die Welt zu "werfen" und zu nutzen. Selbstentfaltung, Selbstaktzeptanz und ein offener Umgang mit neuen Erfahrungen könnten möglich werden.

Trauer
Da das Grundthema bei der depressiven Reaktion selbstredend Verlust und "Abschied-nehmen-Müssen" heisst, und es um blockierte Trauerprozesse gehen kann, führt die Therapie im besten Sinne vom "Totstellreflex", von der Devitalisierung und Blockierung ins Erleben und vom Überleben ins Leben. Wo gelebte Gefühle sind, echte Trauer, gibt es keine Depression. Wo eine schwere Depression einen Menschen blockiert, ist aktives Trauern - wegen der Bindung an das Verlorene -vorerst unmöglich. Erst wer etwas verloren gibt, kann um das Verlorene trauern. Depression ist ja eigentlich kein Gefühl, sondern ein Zustand. Will man einen Zustand heilen, braucht man Gefühle. Sie nehmen ihren Lauf, Tränen versiegen irgendwann, wenn man sie nur lässt. Gefühle sind nur in der Vorstellung unendlich.

Hoffnung
Bei der Therapie der sich depressiv zeigenden Menschen kann es über weite Strecken vorwiegend um die Verwaltung von Hoffnung gehen, die dem Gegenüber verloren gegangen ist - "Hoffnung aufheben" im Sinne von: "Ich glaube an Dich und Deine Möglichkeit mit Beharrlichkeit, bis Du mir darin Glauben schenkst".

Auszug aus dem Heft "Depression: Den eigenen Weg gehen" von Pro Mente Sana. Das Heft kostet Fr. 9.-
und kann bestellt werden bei Pro Mente Sana, Hardturmstrasse 261, Postfach, CH-8031 Zürich
Tel. 01 361 82 72, Fax 01 361 82 16, E-Mail: kontakt@promentesana.ch, www.promentesana.ch


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