Behandlungsformen

Maltherapie bei depressiv Erkrankten

Theresa Witschi, Ergotherapeutin, Leiterin der Abteilung Therapien und Sozialdienst, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich

Die Malgruppe der Ergotherapie, d.h. das freie Ausdrucksmalen im Malatelier, gehört zu den etwas weniger bekannten Therapieangeboten unserer Klinik. Die Autorin hat eine berufsbegleitende Ausbildung in Kunsttherapie absolviert, während Jahren die Malgruppe der Ergotherapie geleitet, war zuständig für die Ergotherapie der Spezialstation für Depressions- und Angstbehandlung E2 und hat daher zahlreiche depressiv Erkrankte auch in der Maltherapie begleitet.


Ist Maltherapie für depressiv Erkrankte besonders geeignet

Voraussetzung für die Teilname an der Malgruppe ist eine minimale Akzeptanz des Mediums Malen. Für depressiv Erkrankte ist Maltherapie in Ergänzung zu andern Therapien ein sehr geeignetes Angebot. Durch das offene Angebot des freien Malens werden neue Erfahrungsmöglichkeiten eröffnet, die depressiv Erkrankten Gelegenheit bieten, sich mit den eigenen hohen Leistungsansprüchen und dem Umgang mit sich selber auseinander zu setzen.

Depressiv Erkrankte f?hlen sich leer, blockiert, unf?hig; k?nnen ihr qu?lendes Leiden nicht in Worte fassen. Hier ?ffnet das freie, weder leistungs- oder produktorientierte Gestalten und Experimentieren einen Weg, dem Unaussprechlichen eine Form, einen Ausdruck zu geben. Depressiv Erkrankte sind oft erstaunt dar?ber, dass sie ?berhaupt f?hig sind, etwas auf Papier zu bringen, dass sie eine Befindlichkeit, eine Situation 'darstellen' k?nnen, es ihnen gelingt, Farben zu gebrauchen. Sie sind ?berrascht, dass sie ihre Blockade, Isolation oder Einengung malen k?nnen und vor allem, dass sich auf dem Papier die M?glichkeit er?ffnet, probeweise kleine Ver?nderungen an einer schwierigen Situation vorzunehmen. Anfangs haben die Patienten oft Angst: "Ich kann nicht Malen" ist ein h


Besonderheiten und Möglichkeiten der Maltherapie

Eine Besonderheit des Ausdrucksmalens ist die spezielle Einrichtung und Ausstattung des Raumes: im Malatelier gibt es keine Tische, es wird im Stehen an den Wänden auf grosse Blätter gemalt. Eine reichhaltige Palette voll kräftiger Gouachefarben mit weichen, dicken Pinseln drauf steht gebrauchsbereit in der Mitte des Raumes. Die Malenden bedienen sich aus der Palette, gehen beim Malen im Raum vom Blatt zur Farbpalette und zurück, sind so immer wieder motorisch in Bewegung. Der Raum ist bewusst arm an Aussenreizen gehalten, was die Raumatmosphäre gleich bleiben lässt und es so dem Malenden erleichtert, die Konzentration auf sich selber zu lenken. Es werden weder Themen vorgegeben, noch Maltechniken vermittelt, noch Gruppendynamik angeregt. Es geht darum, den je eigenen und individuellen Umgang mit Farben, Formen und selbstgewählten Themen zu finden. Es gibt weder richtig noch falsch, jede bildnerische Ausdruckform ist in Ordnung als Ausdruck dessen, was aktuell und dem Malenden im Moment möglich ist.

Die Rolle der Therapeutin ist dabei die einer Begleitung und Unterstützung des individuellen Malprozesses. Sie sorgt dafür, dass Atmosphäre und Rahmenbedingungen herrschen, die es dem Malenden erlauben, sich nur auf sich selber und den Malprozess zu konzentrieren. Die Raumeinrichtung, die ansprechenden Farben, die grossen Blätter, die Freiheit, sich zu bewegen, die einfachen klaren Regeln, der Freiraum in Themenwahl und Gestaltung sowie die wertschätzende, wohlwollende Haltung der Therapeutin regen das spontane 'unzensurierte' Malen an, dank dem innere Bilder - Seelenbilder - einen Ausdruck finden und nötigenfalls eine Veränderung erfahren können.


Gruppen- oder Einzeltherapie

Ausdrucksmalen wird in der Regel in Gruppen angeboten. Das ist einerseits ökonomisch, andererseits hat die Gruppe eine unterstützende Funktion, indem sich der Einzelne dadurch, dass andere Menschen im Raum das gleiche tun, weniger ausgesetzt und exponiert fühlt als in einer Einzelsituation. Beim Ausdrucksmalen steht die Gruppe nicht im Vordergrund, bietet aber die Möglichkeit Kontakt, Austausch und Feedback zu erhalten, falls der Einzelne das wünscht. Das Malen als Medium fördert Zentrierung, Konzentration und Ruhe. Während des Malens wird in der Gruppe kaum gesprochen, es entsteht eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre, auch unruhige Patienten werden ruhig. Die Konzentration auf sich selber wiederum ermöglicht den Ausdruck innerer Bilder. Im Vordergrund steht also die individuelle Arbeit am ganz persönlichen Bild und Thema, an der individuellen und persönlichen Gestaltung von Ideen, Bildern, Gefühlen, momentanen Befindlichkeiten.


Werden Bilder beurteilt oder bewertet

Es ist ein wichtiges Merkmal des Ausdrucksmalens, im Malatelier einen möglichst wertfreien und akzeptierenden Rahmen und Freiraum zu schaffen, da die Angst vor Bewertung und Versagen den freien spontanen Ausdruck hemmt. Die im Malatelier gemalten Bilder bleiben in der Regel bis zum Klinikaustritt dort und werden nur im Einverständnis und im Beisein der Patienten von Dritten (Ärzten, Bezugspersonen etc.) betrachtet und allenfalls besprochen. In der Rolle als 'Malbegleiterin' biete ich den Patienten das Gespräch an, gehe auf den Malprozess, die Befindlichkeit, auf gemachte Beobachtungen ein, überlasse es jedoch den Patienten selber zu entscheiden, wie viel sie von sich und der tieferen Bedeutung ihrer Bilder Preis geben wollen.

Durch das Malen innerer Bilder treten sehr persönliche Themen von Innen nach Aussen, werden 'materialisiert' und für den Malenden selber aber auch für andere Menschen sichtbar. Mit der Darstellung innerer Bildern werden nicht bewusste Themen plötzlich sichtbar, was den Malenden verletzlich macht. Daher ist es oberstes Gebot, den Bildern und somit den Malenden behutsam und mit Respekt zu begegnen, uns vor Interpretationen oder Wertungen zu hüten. Die Besonderheit, dass die Bilder bis zum Ende der Maltherapie im Atelier bleiben, hat eine Schutzfunktion für den Malenden. So wird eine oft notwendige Distanz zu Bildern erhalten, die schwierige oder schmerzliche Themen darstellen. Andererseits sind die Bilder sicher aufgehoben, bis der Malende (meist gegen Ende des Klingaufenthaltes) bereit ist, die Bilder als eigene Werke anzunehmen. Vor Austritt sehen sich der Malende und die Therapeutin die Bilder nochmals an, dazu werden sie in chronologischer Folge ausgelegt, gemeinsam betrachtet und zusammenfassend besprochen und gewürdigt.


Ausdrucksmalen nach dem Klinikaufenthalt

Wenn einem Menschen das Medium Malen zusagt, ist es sehr sinnvoll, das Ausdrucksmalen weiter zu pflegen. Der besondere Wert des Ausdrucksmalens zeigt sich sehr deutlich nach einer längeren Periode regelmässigen Malens. Das Malen wird dann, wie bereits erwähnt, zu einem Spiegel, zu einer Begegnung mit sich selber, zu einer Möglichkeit der Auseinandersetzung, zu einem Ort der Konzentration auf die eigenen aktuellen Themen, die sich im Malen bereits ankündigen und sich 'materialisieren', bevor sie kognitiv bewusst sind.

Aus PUNKTUELL, Hauszeitung der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, Nr. 123, März 2002.


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