Gesundung

Einschränkungen aufgrund der Depression

Sylvia B., Betroffene

Depression ist ein Ungeheuer: zähnefletschend, gierig, alles fressend und ein Künstler darin, sich unsichtbar zu machen. - Dies ist mein Bild dieser Krankheit.

Während meiner schlimmsten Zeit der Depression hatte ich das Gefühl, allem beraubt worden zu sein, mir selbst weggenommen zu sein: So fühlte ich mich von mir selbst entfremdet, mein eigener Körper war nicht mein, ich fühlte mich wie gelähmt.

Zeitweise wurde die einfachste Selbstversorgung zum Problem: Duschen konnte zum Marathonlauf werden, essen zur unnötigen Last. Mein ganzer Antrieb, der uns Menschen zu lebenden Wesen macht, war einfach weg. Man kann sich vorstellen, dass dieses Selbsterleben zu massiven Gefühlen von Unfähigkeit und letztlich zu Selbstentwertung oder gar Selbsthass führt. Die Konsequenzen aus dieser Selbsterfahrung zeigten sich in allen Lebensbereichen.

Die Antriebslosigkeit erlebte ich in einer schier unendlichen Müdigkeit. Jede Verpflichtung wurde zur kaum überwindbaren Arbeit. Schon nur kleine Anforderungen von aussen, wie zum Beispiel ein Telefonanruf, brachten mich in enormen Stress. Ich war nicht mehr fähig, meine Kontakte zu pflegen, den Alltag zu bewältigen, da schon das Aushalten meiner Selbst soviel Energie kostete.

Aus dieser Situation heraus war ich gezwungen, meine Lebenszielsetzungen total zu verändern, das heisst, meine Grenzen zu überprüfen und enger zu setzen. Dabei war ich sehr auf wohlwollende und verständnisvolle Menschen angewiesen, die mich so nahmen, wie ich war. Ich war froh um Menschen, die mich spiegelten und auf meine Grenzen hinwiesen, damit ich sie mir selbst besser zugestehen konnte. Hatte meine Umgebung keine Mühe damit, dass ich so unzuverlässig, energielos und unmotiviert war, durfte ich mich wohl auch eher so akzeptieren. Damit wurde diesem Zustand die grosse Macht und Bedrohlichkeit etwas genommen.

Da ich mich über die Symptome der Krankheit Depression definierte, musste ich – mit Hilfe von Therapeuten und Freunden – meine Ansprüche an mich selbst überprüfen und lernen zurückzustecken; aber auch gewisse Unzulänglichkeiten als Teil der Krankheit erkennen – und akzeptieren lernen.

Zum Beispiel waren meine intellektuellen Fähigkeiten sehr begrenzt, dass die Angst mich packte, völlig zu verdummen. Oder Sexualität: Es gab sie nicht mehr in meinem Leben, so dass die Furcht, alles in mir sei abgestorben, immer wieder mit Teufelskrallen nach mir griff. Da war es wichtig, immer wieder von anderen Betroffenen zu hören, dass sie ähnliches erlebten oder von Fachpersonen die Bestätigung dieses Krankheitssymptoms zu bekommen.

Da in dieser tiefen Krise keine Zukunftsperspektiven existierten, waren die Anstösse von aussen oft einzige Hoffnungsträger. Daraus nahm ich auch immer wieder Impulse, wie ich mit meiner Krankheit und den einhergehenden Begrenzungen umgehen konnte. Oftmals erkannten Nahestehende viel klarer, was ich alles noch schaffte, wo ich wieder mehr aushalten oder erreichen konnte. Diese Spiegelung der Realität hat mir sehr geholfen, mich besser einzuschätzen. Mit der Zeit lernte ich, mir kleinste Ziele zu setzen wie zum Beispiel an einem Tag meine anfallenden Rechnungen zu erledigen. Diese waren erreichbar im Gegensatz zu Grosszielen, die viel zu weit in der Zukunft lagen und mich völlig überforderten und entmutigten. Dies waren die ersten Schritte auf dem langen Weg der Gesundung.


> Zurück zur Liste
> Text ausdrucken
> Nach oben